. Weder offizielle Kirche noch Kommission einen klaren Standpunkt
Interview mit Bischof Franjo Komarica (Banja Luka, Bosnien)über das Phänomen "Medjugorje" "Auch bei
Lourdes und Fatima hat es eine gewisse Zeit gedauert, bis die Kirche dahintergestanden ist." Frage: Exzellenz, können Sie uns etwas über die kirchliche und politische
Situation in Ihrer Diözese sagen, wie sie durch den Krieg entstanden
ist?
Komarica: Dieser unglückliche Krieg ist die Fortsetzung des ersten und zweiten
Weltkrieges hier in unserer Region, und er hat besonders die Katholiken
von Bosnien und Herzegowina getroffen. Hier wurde eine systematische
ethnische Säuberung durchgeführt. Noch trauriger ist, dass die Situation
seit dem Friedensvertrag von Dayton um nichts besser geworden ist. Wären
die Christen in Europa lauter und die Bischöfe, Priester und Politiker
konsequenter - natürlich schließe ich auch die Journalisten nicht aus -
dann wäre in diesem Lebensraum des südöstlichen Europas der Mensch,
seine Würde und sein Recht auf die bürgerlichen Grundrechte nicht so
brutal mit Füßen getreten worden: z.B. das Recht auf Sicherheit, das
Recht auf Besitz, das Recht auf Heimat, das Recht auf Arbeit und
Verdienst, auf soziale und gesundheitliche Sicherheit, auf die eigene
Erziehung der Kinder und auf die Glaubensfreiheit. Der Mensch hat -
besonders im christlichen Sinn - den höchsten Wert, denn wir Christen
glauben an einen Gott, der sich ganz auf die Seite des Menschen gestellt
und sich völlig mit dem Menschen identifiziert hat. Deswegen sind wir
noch mehr verpflichtet, dass wir uns in erster Linie für die
Verteidigung der Gesetze Gottes und der Würde Gottes einzusetzen und
damit auch für die Würde und das Recht des Menschen.
Frage: Wie sehr trifft Sie in erster Linie als Mensch, dann als Katholik und
als Bischof die Tatsache, dass die Menschen und die weltliche Politik
gerade auf dem Gebiet, das Sie gerade beschrieben haben, so wenig tun
können?
Komarica: Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber in diesen vergangenen zehn
Jahren haben mich alle diese Ereignisse sehr zermürbt und
niedergedrückt. Ich habe keinen freien Tag, um ein wenig zu mir zu
kommen und zu interpretieren, was eine so tiefe Krise der Generationen
verursacht hat. Soweit es mir persönlich gelungen ist, kann ich - indem
ich immer von neuem nach Antworten gesucht habe - im Stil eines
bekannten Gedankens, den ein großer Schriftsteller niedergeschrieben
hat, sagen: Die Grenze zwischen Gut und Böse geht nicht zwischen Volk
und Volk, zwischen Staat und Staat, zwischen Landesteil und Landesteil,
sondern sie geht durch die Menschenherzen hindurch. Gerade dieser
Gedanke wurde mir in diesem Krieg und nach den Kriegsereignissen sehr
bewusst. Ich habe Menschen erlebt, die nicht mehr das sind, was sie
einmal waren, und unzählige Male habe ich jene gehört, die gesagt haben:
Ich kenne diese Menschen. Das sind meine Freunde, das sind diejenigen,
mit denen ich 20 oder 30 Jahre lang gearbeitet habe. Und über Nacht
haben sie sich verändert und sind zu Verbrechern geworden. Auf der
anderen Seite habe ich wieder jene erlebt, die sehr klein waren, ganz
unbekannt, und die über Nacht im Hinblick auf ihre geistige Kraft zu
Riesen wurden, bereit, ihr Leben nicht nur für den Freund zu geben,
sondern auch für den Feind. Ich bin ein unmittelbarer Zeuge einer
grässlichen Zerstörung durch den bösen Geist. Sie können sich nicht
vorstellen, wie grässlich Satan ist, wie arg, wie er imstande ist, in
verschiedenen Gestalten aufzutreten und zu wirken. Aber ich kann auch
sagen, dass ich in gleicher Weise ein unmittelbarer Zeuge des
großartigen Wirkens des guten Geistes bin, des Geistes Gottes, des
Geistes Christi, in den Herzen und Seelen, im Benehmen der Menschen, oft
bei jenen Kleinen und freilich auch bei jenen, die sich öffentlich als
Christen bekannt haben, wie das unsere Priester getan haben.
Allein in meiner Diözese wurden sechs Priester getötet, nur weil sie
Menschen zu essen gegeben haben und weil sie sich für diese Menschen und
deren Leben eingesetzt haben; weil sie Menschen gepflegt haben, weil sie
ihnen Brot und Milch gegeben und sie ermutigt haben, die Hoffnung nicht
zu verlieren, weil sie ihnen gezeigt haben, wie sie gegen das Böse
kämpfen sollen, ohne jemandem Böses zu tun und dem Teufel nicht zu
erlauben, dass er sich ihrer bemächtigt und sie zu hassen beginnen.
Diese Menschen wurden getötet. Sie haben nicht nur den Katholiken Gutes
getan, sondern auch den anderen, und deswegen wurden sie als Feinde
proklamiert. So etwas ist der Tod des Guten, der Tod des Friedens, der
Tod der Liebe, der Tod des Konstruktiven. Sie wurden getötet. Sie sind
nicht die ersten und nicht die letzten, denen es so ergangen ist.
Dabei kann uns sicher weder die Politik helfen noch irgendeine weltliche
Macht. Die einzige Hoffnung ist der Glaube an Gott. Die Muttergottes
bietet uns den Rosenkranz an, weil wir nur durch ihn alle Mächte des
Bösen abwehren können...
Ich habe schon gesagt, dass das, was mit uns geschehen ist, eine
Ablehnung Gottes in weiten Bereichen des menschlichen Lebens und Wirkens
ist. Man braucht sich nicht darüber wundern, denn ein Soldat hat mir auf
meinen Einwand hin, warum man Menschen tötet oder sie aus ihren Häusern
vertreibt, erregt und zornig geantwortet: "Sie haben es leicht, Herr
Bischof, Sie sind ein gläubiger Mensch. Ich aber, was soll ich mit mir
tun? Ich bin ein geistiger Invalide. Ich habe das Studium beendet und
habe dann 14 Jahre lang in einer Polizeischule unterrichtet. Ich habe
nur mehr die Hälfte von mir, die andere Hälfte fehlt mir. Ich bin ein
geistlicher Krüppel. Mein Vater war Partisane und Kommunist und er hat
mich atheistisch erzogen. Ich habe keine Ahnung, wer Gott ist, was
Glauben ist, wer die Muttergottes ist, was Rosenkranz und Gebet ist.
Mein Kind, das jetzt zum Religionsunterricht geht, fragt mich jetzt, wer
die Jungfrau Maria und Jesus sind, aber ich habe keine Ahnung. Ich
schäme mich vor meinem eigenen Kind." Was soll ich so einem Menschen
sagen? Ich habe dann nachgedacht und es kam mir der Gedanke: Auch ich
könnte in seiner Situation sein! Er ist wirklich ein geistlicher Krüppel
und was er hier tut, was er um sich herum vernichtet, ist nur eine
Frucht der Ruine, die in ihm ist. Er wurde einfach zu einer Maschine,
die alles um sich herum tötet. Das ist die eine Seite der Geschichte.
Die andere Seite der Geschichte: Sehen Sie dieses Beispiel! Eine alte
Frau, die mir hier im Haus erzählt hat, wie drei Soldaten sie und ihren
Mann in ihrem Haus gequält haben. Dem Mann haben sie mit einem erhitzten
Messer die Haut abgeschnitten und ihr haben sie das Gewehr in den Mund
gesteckt. So haben sie ihr die Stimmbänder und den Hals verletzt. Sie
kam zu uns ins Krankenhaus, um die Verletzungen behandeln zu lassen. Ich
war erstaunt, als mir die alte Frau leise ins Ohr flüsterte: "Herr
Bischof, sorgen Sie sich nicht, das alles wird vergehen. Am ärgsten war
es, als einer der Soldaten den Rosenkranz und das Bild der Muttergottes,
das Sie uns in der Kirche gegeben haben, von der Wand heruntergenommen
und in das Feuer geworfen hat, und dabei gesagt hat: Da, alte Frau, Dein
Jesus und Deine Jungfrau Maria, jetzt bete, wenn Du jemanden hast, zu
dem Du beten kannst!" Als sie das Haus verlassen haben, kam einer zurück
und sagte: "Alte, getrau Dich nicht, mich zu verfluchen, sonst komme ich
und töte Dich!" Und ich habe ihm geantwortet: "Mein Sohn, Du bist schon
verflucht. Ich werde Dich nicht verfluchen, sondern ich werde für Dich
zu Gott beten, dass Du umkehrst." Ich frage mich: Woher hatte diese Frau
so eine geistige Kraft nach so vielen Misshandlungen und Foltern.
Ich würde Folgendes sagen: Wir sehen, was geschieht, wenn der Mensch
Gott ablehnt und sich selber zu Gott macht. Das ist eine tiefe und sehr
ernste Krise unserer gegenwärtigen Generation. Wir können heute nicht
anders als uns zu fragen: Wohin geht Europa und was hat es den anderen
Kontinenten anzubieten, wenn es selber innerlich morsch ist? Es gibt
viele Bereiche, wo man sagen kann, dass Europa eine Neuevangelisierung
braucht: bei den Bischöfen, bei den Priestern, bei den Ordensmännern und
Ordensfrauen, bei den Eltern, der Jugend, den Intellektuellen und den
Arbeitern.
Frage:
Erinnern wir uns an das Jahr 1981, als die Gospa in Medjugorje
erschienen ist. Sie waren damals in der bischöflichen Kommission. Wie
denken Sie darüber?
Komarica: Ich würde sagen, dass Medjugorje schon von Beginn an ein Phänomen ist.
In den ersten Tagen und Wochen gab es verschiedene Reaktionen auf die
Ereignisse in Medjugorje, sowohl von seiten der Kirche als auch von
seiten des Staates. Dieses Phänomen gibt es, wie wir wissen, bis heute.
Dieses Phänomen ist in der Kirche aufgetaucht und es kann sicher nicht
an der offiziellen Stellungnahme derer vorbeigehen, die in der Kirche
bestimmte Ämter zu erfüllen haben. Ich war, wie Sie erwähnt haben, in
der Kommission, aber Sie müssen verstehen, dass ich eine amtliche
Verpflichtung habe und nicht mehr sagen kann, als das, was die
Kommission herausgefunden hat.
Frage: Wie erleben und deuten Sie das Phänomen des Erscheinens der Gospa? Wie
haben Sie das alles, was Sie erzählt haben, selbst erlebt?
Komarica: Rückblickend, wenn man es heute betrachtet, kann man einige Dinge sicher
anders deuten als wir es damals getan haben. Die Tatsache allein, dass
nach Medjugorje Menschen aus der Nähe und aus der Ferne gekommen sind,
kann man nicht ignorieren. Genauso muß man betonen, dass weder die
offizielle Kirche, also Rom, noch die Kommission, die das letzte Wort
hat, einen dezidierten, klaren Standpunkt eingenommen haben, in der Art
wie "So muß es sein und nicht anders", sondern dass man sich verhalten
hat, wie man sich bis heute verhält, und das hat auch seinen Grund.
Viele allerdings können diese Haltung Roms nicht verstehen und sie
wundern sich, warum es Rom nicht anerkennt oder warum Rom nicht sagt:
"Es gibt nichts in Medjugorje, verbietet es, die Leute sollen nicht mehr
kommen." Rom sagt weder das eine noch das andere und das heißt, dass die
Zukunft zeigen wird, wie sich das Phänomen Medjugorje weiterentwickeln
wird, in sich und innerhalb der Kirche. Dann bleibt immer noch das, was
der verstorbene Bischof Zanic zu Beginn gesagt hat, als er die Kinder
vor den sehr heftigen Angriffen der damaligen Machthaber verteidigt hat,
indem er Gamaliel zitierte:
"Wenn es von Gott ist, wird es bestehen, wenn es von Menschen gemacht
ist, wird es vergehen." Wir sind daher alle eingeladen, dass wir das
Bild Gottes immer mehr wiedererkennen und dass wir dieses Bild Gottes in
uns, das Gott reiner und erkennbarer haben möchte, auch weiter pflegen.
Deshalb ist die Einladung zur Umkehr und zur Reinigung eine dauernde
Einladung an jeden Christen, das ganze Leben lang. Man muß auch
erwähnen, daß uns der Hl. Vater genau dazu auffordert. Auch in der
neuesten Enzyklika zu Beginn des dritten Milleniums hat er uns ein
geradezu wunderschönes Projekt und Programm vorgestellt. Ohne Bemühen um
die persönliche Heiligkeit, angefangen von den Bischöfen, über die
Priester bis zum gewöhnlichen Volk Gottes, wird die Kirche ihre Rolle
der Einheit nicht erfüllen, die sie nach dem Auftrag ihres Gründers hat,
nämlich Licht der Welt und Salz der Erde zu sein.
Frage: In Medjugorje sind schon Hunderte von Bischöfen gewesen. Sie sind
gekommen, um sich selber von den Ereignissen zu überzeugen. Was ist Ihre
persönliche Erfahrung bei der direkten Begegnung mit Medjugorje gewesen?
Komarica: Ich bin in einer offiziellen Funktion nach Medjugorje gekommen. Ich bin
weder in cognito gereist noch rein privat. Wäre ich privat gekommen,
könnte ich Ihnen meine persönlichen Erfahrungen erzählen. Ich möchte nur
nebenbei daran erinnern, dass die zu Beginn des Krieges gegründete
theologische Kommission - nach jener bekannten Erklärung der
Bischofskonferenz in Zadar 1991, die erklärt hat, auf der Grundlage der
bisherigen Untersuchungen, das heißt, dass die theologische Kommission
ihre Arbeit nicht beendet hat und die Frage nach den Erscheinungen noch
immer offen bleibt. Dann haben die Bischöfe eine pastorale Kommission
gegründet, in der mehrere Bischöfe waren, und die die Aufgabe hatte,
dass sie mit einer Gruppe von Theologen, Liturgikern und
Pastoraltheologen öfter offiziell nach Medjugorje kommt und Medjugorje
begleitet: die liturgische Pastoral und den Besuch der Pilger.
Frage: Wie ist die Situation der Bischofskonferenz Bosniens und der Herzegowina
jetzt im Hinblick auf Medjugorje? Gibt es irgendwelche Ihrerseits?
Komarica: In der letzten Zeit - genauer vor zwei Jahren - kam direkt von Rom eine
Anfrage an die Bischofskonferenz von Bosnien-Herzegowina mit der Bitte,
man möge mit der Beobachtung des Phänomens Medjugorje von neuem
beginnen. Die Bischofskonferenz von Bosnien-Herzegowina hat sofort eine
Antwort an Rom geschickt und um eine zusätzliche Erklärung dieser
Anfrage gebeten.
Wir warten noch immer auf eine Antwort des Präfekten der
Glaubenskongregation. Wir haben diese Anfrage gestellt, damit wir
wissen, in welcher Richtung wir arbeiten und was wir im Zusammenhang mit
Medjugorje unternehmen sollen. Das ist der jetzige Stand der Dinge.
Frage: Wie sehen Sie die Auswirkungen von Medjugorje, die heute etwas völlig
Neues in der Kirche bewirken?
Komarica: Man muß - wenn es um Medjugorje geht - auf alle Fälle zwischen der
privaten Meinung eines Bischofs oder Kardinals oder vieler Bischöfe und
vieler Kardinäle und der offiziellen Stellungnahme der Kirche
unterscheiden.
Das ist eine Tatsache und das müssen wir so akzeptieren. Auch bei
Lourdes und Fatima hat es eine gewisse Zeit gedauert, bis die Kirche
dahintergestanden ist.
Frage: Was möchten Sie am Ende unseres Gespräches noch sagen?
Komarica: Wir alle sind Christen und besonders die Katholiken sind eine große
Familie des Volkes Gottes. Christus hat uns als Seine Jünger eingeladen,
Zeugen Seiner Wahrheit über Gott und den Menschen zu sein, Werkzeuge
Seiner Liebe, Seiner Güte und Seines menschlichen Erbarmens. Er hat uns
gelehrt, dass Ihm unsere Einheit besonders am Herzen liegt. Er sagt:
"Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben." Und wir möchten genauso mit
der großen Gemeinschaft der gläubigen Christen in der ganzen Welt
verbunden sein.
Ich möchte allen edlen und guten Menschen im Namen der vielen, denen wir
helfen konnten, danken. Gleichzeitig möchte ich Euch bitten, dass Ihr -
den Impulsen des Hl. Geistes in Eurem Herzen gehorchend - Christus auch
weiterhin in Euren entrechteten Brüdern und Schwestern erkennt; in Euren
Nachbarn, aber auch über die Grenzen hinweg, vielleicht auch bis Banja
Luka, wo dem Papst sehr daran gelegen ist, dass es hier auch weiterhin
katholische Christen gibt und dass die Pfarren unserer Diözese erneuert
werden.
Der Papst hat mir bei unserem ersten Gespräch nach dem Krieg selber
gesagt: "Es liegt mir sehr daran, dass das christliche Leben bei Euch
erneuert wird. Ich gründe auf der ganzen Welt Diözesen, auch dort, wo es
noch nie welche gegeben hat, und ich kann es nicht zulassen, dass drei
Diözesen in Bosnien, in der Nähe Roms jetzt ohne Grund verschwinden. Ihr
Bischöfe seid auf Eurem Platz. Tut alles, was notwendig ist, damit die
Katholiken bestehen! Alle sollen zurückkehren, die Priester und auch die
Gläubigen, und als aktive Glieder der Kirche zum Wohl aller Menschen in
diesem Land leben." (GAM, 65)
Mit freundlicher Genehmigung der Gebetsaktion Medjugorje!
Foto: (c) Pfarrei Medjugorje
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