. Vom Millionär zum Apostel
Alle suchen das Glück, aber 99,9 Prozent suchen an der falschen Stelle: Der Unternehmer Hubert Liebherr im KATH.NET-Interview über sein Leben und seinen
Glauben - Von Beate Bruckner Wien (www.kath.net/bb)
Er stieg aus dem gigantischen Liebherr-Konzern als Mitinhaber aus, gab sein
Vermögen zurück, um als Apostel Christi zu leben: Hubert Liebherr sprach vom
6. bis 8. Juli in Wien und Niederösterreich zum Thema „Vom Millionär zum
Apostel“. KATH.NET befragte ihn zu seinem ungewöhnlichen Weg.
KATH.NET: Hubert, erzähl uns einmal über dich als Jugendlicher. Hast
du besondere Träume oder Vorstellungen von deinem Leben gehabt?
Hubert Liebherr: Die Welt zu sehen, war immer mein Traum. Ich habe viele
Bücher gelesen von den Erforschern der Welt und dachte immer: So etwas zu
machen, das wäre etwas ganz Tolles.
KATH.NET: Wie war das so in der 68er Generation, die du als
18jähriger miterlebt hast: Wie hat diese Umbruchphase dich erreicht? Wie hat
sie dein Leben beeinflusst?
H. L.: Ich war zu der Zeit in einem Internat in Heidelberg, wo wir als
Abiturienten die ganzen Demonstrationen miterlebt hatten – und das genügte,
um mich von diesem Geist anstecken zu lassen.
Die 68er war im Grunde eine Auflehnung gegen jegliche Ordnung. Es war da
meinerseits viel Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit. Wir dachten mit 18
Jahren, wir machten alles besser als unsere Elterngeneration – das war ein
Geist der Arroganz. Wir wollten uns von niemandem etwas sagen lassen und
dachten, wir könnten die Welt verändern. Wir dachten damals, wir sind selbst
o.k. und alle anderen müssten wir verändern. Heute weiß ich, dass ich bei
mir selbst anfangen muss, mich zu verändern, wenn ich etwas in der Welt
verändern will.
KATH.NET: Wie haben diese Werte damals dein Leben beeinflusst? Was
hast du damals alles mitgemacht?
H. L.: Ich habe mich auch von diesem Geist anstecken lassen: vom Kampf
gegen das Establishment und von der sogenannten sexuellen Befreiung. Ich
hatte damals in einigen Städten eine Freundin und dachte, dies sei normal.
Es dauert lange, bis ich bemerkte, dass dies mit einer sexuellen Befreiung
gar nichts zu tun hatte. Ganz im Gegenteil: es war ein Weg in die sexuelle
Abhängigkeit. Entweder ich beherrsche meine Sexualität – oder sie beherrscht
mich. Damals beherrschte die Sexualität mich. Zu dieser Zeit habe ich auch
auf den Papst geschimpft: Was mischt der sich da ein? Davon hat er ja keine
Ahnung und auch keine Erfahrung.
Heute weiß ich, dass ich damals aus meinen Schwächen heraus argumentiert
habe. Im Grunde wusste ich, dass mein Leben nicht in Ordnung war, und es hat
mich geärgert, dass er mir ins Gewissen geredet hat, und deshalb habe ich
auf ihn geschimpft. Im Grunde eine ganz niedrige Reaktion.
Viel später merkte ich, dass er mir haushoch überlegen ist und diese ganze
Problematik aus der Sicht Gottes her sieht: dass wir uns nicht von unseren
Trieben beherrschen lassen und unsere Schwächen besiegen – denn dies ist die
wahre Freiheit des Menschen. Wenn wir uns von unseren Schwächen beherrschen
lassen, sind wir Gefangene. Das habe ich damals noch nicht auf die Reihe
gebracht, darum habe ich auf den Papst geschimpft. Heute weiß ich, dass er
so wichtig ist für unsere Zeit, weil er immer die volle Würde des Menschen
im Blick hat und auf das schaut, wie wir von Gott her geschaffen sind: als
Ebenbild Gottes. Und aus dieser Sicht heraus spricht, denkt, handelt und
argumentiert er.
KATH.NET: Was würdest du den Jugendlichen heute zurufen?
H. L.: Kommt zum Weltjugendtag nächstes Jahr nach Köln. Ich habe jetzt schon
fünfmal dabei sein können. Dort spürt man immer, was unseren Papst ausmacht:
Alle Rassen, alle Nationen, alle Hautfarben versammeln sich um ihn und
erfreuen sich an seinen Worten. Es ist erstaunlich, dass die Jugendlichen
einem alten Mann nachlaufen, der nicht gut singen kann, nicht gut aussieht,
nicht Gitarre spielen kann . . . Er geht am Stock, ist alt und bucklig. Die
Jugend spürt, dass er Worte des ewigen Lebens hat. Die Jugend spürt
haargenau, was fast food, was oberflächlich ist und nicht befriedigt, und
was die geistige Vollkostnahrung ist, die wirklich erfüllt. Ich bin
überzeugt, dass im Tiefsten des Herzens jeder heilig werden möchte – auch
jeder Österreicher. Alle suchen das Glück, den Frieden, die Zufriedenheit.
Das sind die inneren Bedürfnisse des Menschen. Aber 99,9 Prozent der
Menschen suchen an der falschen Stelle, nämlich dort, wo es definitiv nicht
zu haben ist.
KATH.NET: Was ist für dich Heiligkeit? Was ist wichtig, um den Weg
der Heiligkeit zu gehen?
H. L.: Heiligkeit ist für mich die absolute innere Ausgeglichenheit. Dass
ich meine Schwächen so im Griff habe, dass ich mich nicht mehr von ihnen aus
der Bahn werfen lasse. Und wenn sie hochkommen, kann ich gleich zu meinem
Herrn gehen – im Sakrament der Liebe – und sagen: Bitte verzeih! So spüre
und erfahre ich den tiefen inneren Frieden und die Erfüllung.
Der Weg dahin ist steinig, hart und dauert lange. Wahrscheinlich bis zum
letzten Tag des Lebens. Diesen Weg zu gehen, ist unser Lebensauftrag.
KATH.NET: Du hast offensichtlich deine Entscheidung, den Weg des
Erfolges, der Karriere, des Geldes loszulassen, um für Gott zu leben, nie
bereut?
H. L.: Keine Sekunde! Keine Sekunde!
KATH.NET: Aber dein früherer Beruf hat dir doch viel Freude gemacht?
H. L.: Diesen Weg aufzugeben, war für mich einfach nicht vorstellbar. Die
technische Welt hat mich fasziniert, ich ging darin völlig auf. Die Technik
fasziniert mich auch heute noch. Die Vielzahl von Produkten, die wir
herstellen und für die ich auch verantwortlich war, das war meine Welt. Das
Geistige war sehr weit weg, und es war für mich nicht vorstellbar, dass ich
das je machen würde.
KATH.NET: Was ist das Schöne an dem Weg, den du jetzt gehst?
H. L.: Schön ist, dass ich es jetzt mit Menschen zu tun habe. Vorher waren
es Baumaschinen; die sind wichtig. Die Baumaschinen landen nach 10 Jahren am
Schrottplatz. Alles, was mit den Menschen zu tun hat, reicht hinein in die
Ewigkeit. Wie gern möchte ich mitteilen, dass die Ewigkeit etwas Reales ist.
Natürlich wird der Körper verwesen, doch unsere Seele wird ewig bei Gott
sein. Wenn man dies glaubt, beginnt eine völlig andere Dimension des Lebens,
als wenn alles nur irdisch und stofflich behaftet ist. Es tut mir oft weh zu
sehen, wieviele Menschen sich im Materiellen verlieren und nur auf das
Weltliche fixiert sind. Das wird uns in unserem Inneren kein Stück
weiterbringen.
KATH.NET: Was ist denn der heutige Auftrag Gottes in unsere Welt
hinein? Was ist in unserer Zeit besonders wichtig?
H. L.: Ich kann nur für mich sprechen: Ich sehe meine Aufgabe darin, Zeugnis
zu geben von dem, was ich erleben durfte: so viel Gnade in so kurzer Zeit
geschenkt zu bekommen. Aus meiner Firma auszusteigen dauerte immerhin zwei
Jahre, viele Verträge mussten neu geschrieben werden etcetera. Vielleicht
hilft es dem einen oder anderen: Wenn einer nur einen Schritt weiterkommt in
seinen Gedanken oder seinem Glaubensleben, hat sich schon alles rentiert.
Das mache ich gerne, sehr gerne.
KATH.NET: Was möchtest du den normalen Gläubigen als Grundpfeiler
für ein Leben mit Gott mitteilen?
H. L.: Ich glaube, hier gibt es keine generelle Formel. Gott hat sicher mit
jedem Menschen einen eigenen Weg. Die erste Berufung ist, den Alltag zu
leben. Die meisten Berufungen sind ja in der Familie. Nur wenige beruft Gott
ganz woanders hin, zum Beispiel Priester.
Das Wichtigste ist das regelmäßige Gebet. Wenn ich mit Gott nicht spreche,
was will ich dann von ihm? Gebet ist: Sprechen mit unserem Schöpfer. Viele
wenden sich nur dann an ihn, wenn es ihnen schlecht geht. Regelmäßiges Beten
bewirkt sicher einen anderen Zugang zu Gott. Wir können immer im Alltag kurz
ein Stoßgebet verrichten, dann werden wir lernen, auf ihn zu hören; dann
lernen wir, auf ihn zu vertrauen; dann lernen wir zu spüren, dass er mit uns
ist den ganzen Tag. Dies ist das erste. Das zweite ist die regelmäßige
Fortbildung durch Bibelkreise, Gespräche mit geistlich Erfahrenen, den
Reichtum und die Fülle des eigenen Glaubens kennenlernen.
KATH.NET: Was bedeutet für dich persönlich „Kirche“? Was bedeutet es
für dich, dass du in der katholischen Kirche bist?
H. L.: Jede Religion ist wertvoll. Doch der grundlegende Unterschied ist,
dass alle anderen Religionen von Menschen gemacht sind. Der Herr hat zu
Petrus gesagt: Du bist der Fels, auf den ich meine Kirche baue. Darum ist
für mich die katholische Kirche die Kirche Jesu Christi. Natürlich hat die
katholische Kirche im Laufe der Jahrhunderte viele Dinge falsch gemacht und
ein grausames Bild abgegeben. Doch wer macht keine Fehler? Auch der Herr hat
als ersten Papst den berufen, der ihn vorher drei Mal verleugnet hat. Damit
sagt uns der Herr: Ich lasse Päpste zu, die Fehler haben. Und es ist
trotzdem meine Kirche, und ich leite sie. Er sucht sich nie die Perfekten
aus. Wenn wir es ernst meinen mit dem Herrn, ist es ein Weg mit und in der
katholischen Kirche.
KATH.NET: Was der Papst für dich persönlich bedeutet hast du schon
vorher eingeflochten.
H. L.: Damals in der 68er Zeit, als ich noch kein Christ war, wollte ich den
Papst zu mir herunterziehen, damit endlich das schlechte Gewissen aufhört,
heute weiß ich, dass wir uns an ihm hochziehen lassen können.
Das ist seine Aufgabe, und die macht er großartig und mit solcher Bravour,
wenn er immer wieder den Finger auf die Wunden des Zeitgeistes legt und uns
die Grenzen aufzeigt, was alles moralisch-ethisch zugelassen ist, und was
eben nicht. Heute bin ich so dankbar für ihn, weil er uns die wahre Freiheit
aufzeigt, die nicht darin besteht, immer zu tun, was ich will, sondern zu
tun, was ich soll. Er propagiert die wahre Freiheit. Das tut kaum noch
jemand in der Welt. In unserer Zeit ist so viel geistige Finsternis, in
Deutschland und Österreich, wo nur der Geist des Materialismus propagiert
wird. Was uns da alles eingeredet wird, das uns Glück verheißen soll. Den
wahren inneren Frieden kann eben nur der Herr schenken.
Für mich ist es ein außerordentlicher Mann. Er geht seinen Weg so klar und
lässt sich nicht beeinflussen: von keiner Institution lässt er sich kaufen,
von den Medien nicht, vom Zeitgeist nicht. Er hat immer den Blick der vollen
Würde des Menschen vor sich – und den vertritt er, in aller Liebe. Er sagt,
wo es lang geht, und das brauchen wir so dringend in der heutigen Zeit.
KATH.NET: Du sagst, es herrscht eine große geistige Finsternis in
Österreich und Deutschland. Was ist für dich die größte geistige Wunde in
unserer Gesellschaft?
H. L.: Ich glaube die größte Wunde in der Gesellschaft ist, dass wir uns
anmaßen, über das Leben anderer Menschen zu verfügen. Allein in Deutschland
wird – gesetzlich erlaubt – ca. 150.000 Menschen im Jahr das Leben
vorenthalten. Es ist ein Ausdruck unserer Geistlosigkeit, wenn wir darüber
diskutieren, ob menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt oder später.
Tun wir nichts, wird nach neun Monaten ein Mensch das Licht der Welt
erblicken. Es drängt mich in meinem Herzen zu sagen, dass die Eltern, die
ein Kind abgetrieben haben, Gott um Verzeihung bitten und das Kind annehmen
und ihm einen Namen geben sollten. Sonst werden sie nicht in den Himmel
einziehen können.
KATH.NET: Also meinst du, dass dies der größte Krieg ist, der zur
Zeit in unserer Welt tobt?
H. L.: Dies ist die größte Wunde in unserer Gesellschaft. In der Heiligen
Schrift gibt es doch die Stelle, die uns sagt: Wie der Mensch sät, so erntet
er. Neulich sind mir zwei Dinge bewusst geworden: In den siebziger Jahren
haben wir die Abtreibungsgesetze gemacht, und ein paar Jahre später gab es
die ersten Selbstmordattentäter. Normalerweise sind diese Sprengsätze am
Bauch. Als ich in einem Zeitungsartikel das Wort „Bauch“ las, dachte ich,
dass wir ja auch den Menschen im Mutterschoß das Leben vorenthalten – und
genau von dort kommt jetzt der Tod auf uns zurück! Da erkannte ich einen
direkten Zusammenhang, denn dies ist eine geistige Auseinandersetzung, die
wir auch nur auf der geistigen Ebene gewinnen können. Wie der Heilige Vater
auch sagt: Diese ganze Euthanasiedebatte ist ja nur der Anfang. In Holland
trauen sich schon viele gar nicht mehr ins Krankenhaus: in den
Grenzbereichen zwischen Holland und Deutschland sind die Krankenhäuser mit
alten Holländern überfüllt. Das wird bei uns auch kommen, wenn das mit der
Alterspyramide so weitergeht. Der Heilige Vater sagt, dass wir der Kultur
des Todes Raum gegeben haben – und die schlägt jetzt zurück. Diese geistige
Auseinandersetzung können wir nur gewinnen, wenn wir der Kultur des Todes
den Raum verweigern und die Kultur des Lebens – die Würde des Menschen von
der natürlichen Empfängnis bis zum natürlichen Tod – hereinlassen. Dann
werden auch diese Selbstmordattentate zuende sein.
KATH.NET: Was ist deine Vision für die nächsten Jahre deines Lebens?
H. L.: Das weiß ich nicht. Mir genügt, dass der Herr schon alles weiß. Meine
große Bitte an Ihn ist, dass ich den Triumph des Unbefleckten Herzens
Mariens noch erleben darf.
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